Michael Beleites – Positionen – Thermodynamik mitdenken: Zum Wesen der Regeneration

Michael Beleites

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Thermodynamik mitdenken: Zum Wesen der Regeneration

Als Umweltresonanz bezeichne ich die Resonanzbeziehungen eines Organismus, im Besonderen den Wirkungszusammenhang zwischen dem Zustand eines ökologischen Milieus und der genetischen Konstitution der in ihm lebenden Organismenpopulationen. Die Möglichkeit zu einer ungestörten Umweltresonanz ist Voraussetzung für Regeneration und für alle aufbauenden Naturprozesse, wie das Generieren und den Transfer von Informationen sowie die Bildung von Struktur und Ordnung der Organismen und überindividuellen Systeme. Eine Abschirmung von natürlichen Umweltinformationen oder eine Desynchronisierung zwischen den Rhythmen der Organismen und denen ihrer natürlichen Umwelt wirkt hingegen abbauend; sie führt zu Degeneration. Ohne ein Verständnis für die Bedingungen der Regeneration lässt sich auch das Wesen der Degeneration, die durch einen Mangel an diesen Bedingungen ausgelöst wird, nicht verstehen.

In der Physik heißen Auflösung, Homogenisierung und Verfall Entropie. In abgeschlossenen Systemen herrscht eine Eigentendenz vor, bei der eine Temperaturerhöhung des Systems mit einem Verlust von Struktur, Ordnung und Information einhergehen. Auch in der Biologie gibt es diese Auflösungstendenz. Hier heißt sie Degeneration. Eigentlich kommt es hier wie dort auf das umgekehrte Prinzip an; nicht die abbauenden, sondern die aufbauenden Prozesse sind das Wesentliche. [...]

Wenn Entropie und Degeneration so verwandte Phänomene sind, liegt es nahe, Umweltresonanz und organismische Biologie mit den Gesetzen der Thermodynamik zusammenzudenken. In frappierender Weise hat der mit dem Umweltresonanz-Konzept beschriebene ökologisch-genetische Zusammenhang auch eine physikalische Entsprechung: Wenn die ökologischen Milieus der urbanen Räume in ihren degenerativen genetischen Effekten mit Gefangenschaft vergleichbar sind, so lässt sich das auf einen gestörten Zugang zu natürlichen Umweltinformationen zurückführen. Und der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik besagt u. a., dass in einem abgeschlossenen System die Entropie nicht abnehmen, sondern im Laufe der Zeit nur zunehmen kann. Insoweit werden die abgeschlosseneren Systeme der urbanen Räume (wie die der Gefangenschaft) stets weniger Ordnung und Information aus der Umgebung aufnehmen können, als die zu ihrer Umwelt hin offeneren Systeme der freien Natur. [...]

Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik scheint ein universelles Naturgesetz zu sein, dem sich auch biologische und kulturelle Prozesse unterordnen. Hier wie dort gilt die Logik der Entropie-Falle: Strukturverlust vermindert Resonanzfähigkeit, und eine verminderte Umweltresonanz verwandelt ein offenes System in ein - insbesondere gegenüber den natürlichen regenerativen Faktoren - stärker abgeschlossenes System, das seinerseits wiederum strukturauflösend wirkt. Die thermodynamische Begleiterscheinung des Strukturverlustes ist Erwärmung bzw. Überhitzung. Wo immer wir die thermodynamischen Gesetze mitdenken, kommen wir nicht umhin, die Momentaufnahme unserer Gegenwart in einer Welt zu finden, die sich heiß läuft. Die menschengemachten CO2-Emissionen sind wahrscheinlich nicht die Ursache, aber eine zwingende Begleiterscheinung dieser Entwicklung. Insoweit müssen wir damit rechnen, dass eine Stagnation oder Umkehr der globalen Erwärmung nur dann eintritt, wenn uns eine generelle Abkehr von der überwiegend wettbewerbsgetriebenen Wachstumsdynamik gelingt. Und diese Rückkehr zum menschlichen Maß wäre ihrerseits mit der Begleiterscheinung einer nennenswerten Reduktion der CO2-Einträge in die Atmosphäre verbunden - nicht umgekehrt. [...]

Eine wahre Energiewende wird [...] nur gelingen, wenn sie zugleich als eine Befreiung empfunden wird; wenn sie die kreativen Kräfte zu mobilisieren vermag, um freiwillig und rechtzeitig den Weg zu einer krisenfesten Niedrigenergietechnik einzuschlagen. Wo der Ausweg aus dem - auch das soziale Klima gefährdenden - Wachstumswahn liegt, hat Ivan Illich schon vor über 40 Jahren aufgezeigt: "Es gibt zwei Wege zur Erreichung der technologischen Reife: der eine ist die Befreiung vom Überfluss; der andere die Befreiung vom Wunschtraum des Fortschritts. Beide Wege führen zu demselben Ziel: der sozialen Rekonstruktion des Raums, die jedem einzelnen die immer wieder neue Erfahrung vermittelt, daß dort, wo er steht, geht und lebt, der Mittelpunkt der Welt ist."

Das heißt: kleinere politische Gestaltungs- und Verantwortungsräume, eine Umkehr hin zur Dezentralisierung. Es geht um Regionalisierung statt Globalisierung! [...] Wir brauchen eine neue Kultur [...], die ein Weniger an Energie- und Ressourcenverbrauch mit einem Mehr an Lebensqualität zu verknüpfen weiß. Die Energiewende, die aus einer solchen Kulturwende folgt, ist nachhaltig, naturverträglich und menschengemäß. [...] Um aus der Entropie-Falle herauszukommen und der Überhitzung zu entgehen, müssen wir vor allem eines: Zur Ruhe kommen.

Michael Beleites (2020) Lebenswende. Degeneration und Regeneration in Natur und Gesellschaft. Manuscriptum Verlag. S. 25f u. 212f.

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